Dramaturgin Lene Grösch sprach mit Regisseur Moritz Schönecker über seinen Blick auf Kafkas »Der Prozess«. Schöneckers Inszenierung feierte am Samstagabend, 2. März, Premiere im Marguerre-Saal.
Lieber Moritz, »Der Prozess« gilt als zutiefst enigmatisch, es gibt unglaubliche viele Deutungsansätze, autobiografische, psychologische, soziologische, systemtheoretische. Was interessiert dich an der Figur des Josef K. besonders? Wie würdest du die Welt um ihn herum beschreiben? Und welche Gegensätze prallen im »Prozess« aufeinander?
Das Interessante an der Figur ist, dass er jemand ist, der normalerweise nicht Teil einer unterdrückten Gruppe ist – und plötzlich wie einer behandelt wird, der zum Beispiel aufgrund seiner Herkunft, seiner Klasse, seines Geschlechts von Anfang an Unterdrückung ausgesetzt ist. K. kann sich in die Rolle nicht einfügen und er versteht nicht, was es heißt, auf Hilfe angewiesen zu sein, weil er es nie gelernt hat. Also wertet er sogar die ab, die ihm helfen könnten, gleichzeitig rebelliert er aber auch nicht. Die Welt, von der er verurteilt wird oder in der ihm sein Prozess gemacht wird, wird ausnahmslos als extrem arm gekennzeichnet, eine Welt, für die K. aufgrund seiner Schicht und Zugehörigkeit bisher nur Verachtung übrighatte. Die Verhältnisse drehen sich also in gewisser Weise um.
Du arbeitest nicht nur mit Schauspieler*innen aus unserem Ensemble, sondern auch mit Spezialist*innen, die noch nie zuvor auf der Bühne gestanden haben. Was ist dir daran wichtig?
Die Spezialist*innen, die mit uns zusammenarbeiten, teilen mit uns ihre persönlichen Erfahrungen von Unterdrückung zum Beispiel durch unser bürokratisches System. Das heißt, sie haben eine Außenperspektive auf das europäische System und dessen Schattenseiten, die wir innerhalb des Systems gar nicht mehr so klar formulieren können. Für mich ist der »Prozess« ein sehr politisches Stück, das unter anderem sehr real auf Strömungen hinweist, die ein paar Jahre, nachdem Kafka an dem Romanfragment gearbeitet hatte, die Ermordung von Millionen von Menschen zur Folge hatte. Ich spüre, dass ähnliche Strukturen gerade im Moment wieder sehr akut zum Vorschein kommen und auf gefährliche Akzeptanz stoßen. Die Spezialist*innen helfen uns, zu verstehen, welche Auswirkungen das Verhalten der Eliten auf die Menschen weltweit hat.
Das vollständige Gespräch können Sie im Programmheft zu »Der Prozess« lesen.
Karten für die Vorstellungen von »Der Prozess« erhalten Sie an der Theaterkasse, unter 06221 58 20 000, tickets@theater.heidelberg.de oder online im Webshop.