Mit Ich bin das Volk setzt das Schauspiel die Beschäftigung mit Franz Xaver Kroetz fort, dessen Furcht und Hoffnung in Deutschland ein Höhepunkt der Spielzeit 2011|12 war. Intendant Holger Schultze inszeniert die »Volkstümlichen Szenen aus dem neuen Deutschland«, Premiere war am 24.11.2017 im Marguerre-Saal. Eine Wiederentdeckung – aus aktuellem Anlass. Mit dem Regisseur sprach Dramaturgin Lene Grösch.
Lene Grösch: Die allererste Probe für Ich bin das Volk fand unmittelbar in der Woche nach der Bundestagswahl statt. Als das Stück vor über zwanzig Jahren uraufgeführt wurde, titelte die Presse: »Das rechte Stück zur rechten Stunde«. Wie sehr kann man die Situation 1994 und heute vergleichen?
Holger Schultze: Die Vergleiche zum Hier und Heute springen einen derartig an, dass man gar nicht umhinkommt, das Stück als scharfe und sehr böse Analyse der derzeitigen Verhältnisse zu lesen. Was mich momentan mit am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, wie sehr unsere Gesellschaft damit kämpft, überhaupt einen Umgang mit dem Rechtsruck zu finden. Wie können wir Menschen, die sich ganz offensichtlich abgehängt fühlen, überhaupt erreichen? Da ist viel Hilf- und Ratlosigkeit dabei und dabei schließe ich uns Theatermenschen durchaus ein.
Lene Grösch: Es gibt Studien aus den frühen 90ern, die belegen, dass auch damals 13 % aller Wahlberechtigten rechtsextremes Protestpotenzial in sich hatten. Grundsätzlich hat sich also die Einstellung der Menschen scheinbar nicht wirklich verändert.
Holger Schultze: Das mag sein, aber die Sichtbarkeit ist heute eine andere – und damit auch der Mut, sich offen zu rechtsextremen Positionen zu bekennen und stolz darauf zu sein. Deswegen ist die Situation heute doch eine sehr spezielle. Plötzlich ist es möglich, Dinge offen zu sagen, die früher undenkbar gewesen wären, selbst wenn sie von vielen gedacht wurden.
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Lene Grösch: In unserer Probenzeit haben wir gemeinsam mit dem Ensemble und dem Regieteam einen Workshop gemacht, bei dem wir den Umgang mit rechter Provokation trainieren konnten. Dabei wurden sowohl typisch rechte Argumentationsmuster analysiert als auch eigene Gesprächsstrategien entwickelt, rechten beziehungsweise rassistischen Positionen zu begegnen. Ich glaube, sich zu überlegen und bewusst zu machen, wie man in konkreten Situationen reagieren will und kann, hilft enorm, Mut und Selbstsicherheit im Umgang mit Rechtsextremismus zu entwickeln.
Holger Schultze: Und genau das braucht unsere Gesellschaft jetzt. Bloßes Stigmatisieren hilft genauso wenig wie Ignorieren. Jede und jeder Einzelne von uns, die und der für eine offene Gesellschaft steht, muss Verantwortung übernehmen. Es reicht nicht
alleine aus, ein Stück wie Ich bin das Volk auf den Spielplan zu setzen oder es sich anzusehen, das kann nur der Auftakt sein, sich im eigenen alltäglichen Leben den vielen kleinen Situationen zu stellen, in denen man auf rechtes Gedankengut trifft. Und da wünsche ich mir sehr, dass unsere Inszenierung einen Teil dazu beiträgt, uns alle genau dafür zu sensibilisieren.
Das vollständige Interview können Sie im Programmheft zu Ich bin das Volk lesen.