Die Musiktheatersaison wird am 22. September 2018 mit Giuseppe Verdis »Rigoletto« im Marguerre-Saal eröffnet. Dramaturgin Ulrike Schumann erläutert die Entstehungsgeschichte.
Am 22. November 1832 produzierte Victor Hugo (1802-1885) mit seinem Versdrama »Le roi s’amuse« (»Der König amüsiert sich«) einen der größten Uraufführungsskandale der französischen Theatergeschichte. Das Premierenpublikum in der Comédie-Française lieferte sich angesichts des Bühnengeschehens eine Saalschlacht – Anhänger des bürgerlichen Lagers auf der einen gegen Royalisten auf der anderen Seite. Frankreich erlebte zu dieser Zeit die restaurative Regentschaft Louis-Philippe I. Die Zensur und die Monarchisten sahen in Hugos Darstellung des »sich amüsierenden Königs« einen Angriff auf den amtierenden Herrscher und auf die geltende Moral. Nur einen Tag nach der Premiere wurde »Le roi s’amuse« für die Bühne verboten und blieb es in Frankreich 50 Jahre.
Tatsächlich schilderte Hugo die Zustände am Hofe des französischen Königs Franz I., (historisch 15./16. Jahrhundert), doch die Parallelen zur aktuellen Monarchie konnten leicht gezogen werden. Hugo zeigte einen royalen Schwerenöter inmitten einer übersättigten, sozial deformierten Gesellschaft, deren Motor Lustbefriedigung und Machtausübung ist. Bereits die erste Regieanweisung spricht wortwörtlich von einer Orgie bei Hofe, mittendrin der König und: sein Hofnarr, der körperlich versehrte Triboulet, der allen auf ihn gerichteten Spott und die auf ihn abzielende Verachtung umlenkt und an die dekadente Hofgesellschaft doppelt und dreifach zurückgibt. So gerät er mitten in den Strudel einer Aufmerksamkeit, die darauf abzielt, ihn zu zerstören. Und die trifft ihn an seiner empfindlichsten Stelle, denn Triboulet birgt ein Geheimnis. Vor der Welt und vor allem vor der gierigen Lust des Königs versteckt er seine heranwachsende Tochter. Doch die sucht das Freie, das Leben, die Liebe, glaubt, sie in Gestalt eines Studenten gefunden zu haben und muss schmerzhaft erkennen, dass sie betrogen wurde. Denn keine Geringerer als der König selbst verbirgt sich hinter jenem jungen Mann.
Diese extreme Darstellung eines persönlichen Schicksals inmitten einer rundum gefühllosen Gesellschaft reizte Giuseppe Verdi, diese auf die Opernbühne zu bringen. Auch der italienische Komponist und sein Librettist Francesco Maria Piave brauchten mehrere Anläufe, das Drama so umzuarbeiten, dass die Zensurbehörde keine Anspielungen auf einen aktuellen Herrscher (Italien war zu dieser Zeit noch nicht vereint, aufgeteilt vor allem unter französischer und habsburgischer Fremdherrschaft) hineinlesen konnte.
So wurde aus dem Narr Triboulet der Narr Rigoletto, der Ort der Handlung an einen fiktiven Herzog-Hof in Mantua verlegt, in die Zeit des 16. Jahrhunderts.
Die Uraufführung des »Rigoletto« am 11. März 1851 am Teatro La Fenice in Venedig bildete den Auftakt zu Verdis »populärer Trilogie« – auf »Rigoletto« (1851) folgten »Il Trovatore« (1853) und »La Traviata« (1853) – die seine mittlere Schaffensperiode kennzeichnet, und mit der Verdi den Gipfel seines kompositorischen Wirkens erklomm. Und bis heute zählt »Rigoletto« zu den bekanntesten und meistaufgeführten Musiktheaterwerken. Warum das so ist? Unter anderem, weil Libretto und Musik eine selten so gelungene Einheit bilden. In für eine Oper ungewöhnlich kurzen 120 Minuten verdichten sich Musik und Handlung zu einem höchst dramatischen Spannungsbogen und erzielen auf diese Weise beim Publikum jenen emotionalen Effekt, der in der antiken Tragödie für »Schauer und Mitleid«, im Hollywood-Blockbuster für »thrill and suspense« sorgt. Dennoch darf nicht verhehlt werden, dass gerade im »Rigoletto« Verdi besonders tief den Pinsel in das Fass seiner ›tinta musicale‹ taucht und bevorzugt düstere Farben mischt. Dekadenz und Zynismus, Machtmissbrauch und emotionale Kälte, all das spiegelt Verdis Musik sehr eindrücklich. Und doch gibt es auch die hellen Farben, die hoffnungsvollen Töne, wenn auch nur bei Rigolettos Tochter Gilda.
Elitäre Machtspielchen, ausufernde Partys, Verachtung und die Geringschätzung Andersdenkender, anders Aussehender, anders Lebender, nicht zuletzt brennende Liebe für den Falschen … wir müssen nicht weit zurückblicken, all das existiert auch in der Gegenwart. Und eben auch das, die im »Rigoletto« gebündelte und auf die Spitze getriebene Darstellung des Bösen, spricht die Zuschauer an bis heute. »Es gibt nichts, was es nicht gibt«, heißt es umgangssprachlich so schön. Im Leben sind wir froh, möglichst wenig mit dem Bösen konfrontiert zu werden. Doch das Theater erinnert uns unabhängig von Zeit und gesellschaftlichen Umständen daran, dass es dennoch existiert, auch mitten unter uns.