Theater und Orchester Heidelberg
Foto Sebastian Bühler

Am Freitagabend wurde mit Vivaldis »La verità in cimento« das diesjährige Barock-Fest Winter in Schwetzingen eröffnet. Dramaturg Thomas Böckstiegel sprach mit Regisseurin Yona Kim über die Vorlage und ihren Zugriff auf Vivaldis »Dramma per musica«.

Thomas Böckstiegel: Sie setzen die Handlung bewusst nicht in ein orientalisches Sultanat, in dem das Stück originär angesiedelt ist. Was interessiert Sie an »La verità in cimento« besonders?

Yona Kim: Der vordergründige Schauplatz des Stückes ist ein fernes, vergangenes Sultanat, was die Themen Exotismus und Pseudohistorismus mit sich bringt. Dadurch entsteht unweigerlich eine falsche Distanz zur Handlung. Aber die Theatralik liegt eben nicht in der Distanz, sondern im Direkten, Dringlichen, Brisanten, im jetzigen Erleben der Figuren und ihrer existentiellen Situationen. Ich setze »La verità« in eine konkrete und für heute virulente Ebene und Befindlichkeit. Erst dann begegnet man  einer, wenn man so will, heutigen Patchwork-Familie mit ihren Beziehungen, Machenschaften, Rivalitäten, Sehnsüchten und Wunden. Diese disparate Familienkonstellation ist der Dreh- und Angelpunkt meiner Auseinandersetzung mit dem Stück. Ich entschied ich mich für einen großbürgerlichen Lebensraum, deren Fassade nur scheinbaren Schutz bietet, aber in Wirklichkeit zutiefst fragil ist. Der Lebensraum dieser Familie hat weder Innen noch Außen, seine Grenzen verschwimmen, er ist in Auflösung begriffen, wie das bürgerliche Patriarchat selbst.

Thomas Böckstiegel: Vivaldis Opernmusik gilt als schemenhaft und stark formell geprägt. Ist dies eine Chance oder ein Hindernis?

Yona Kim: Das musiktheatralische Formenvokabular von Vivaldi wirkt auf den ersten Blick glatt und artifiziell. Das heißt für mich als Regisseurin, dass ich bei Vivaldi umso entschlossener denn je die Tür  der formalen Klangfassade aufbrechen und durch die marmornen Schichten der Formen dringen muss, um darin die nackten, verwundeten Figuren zu finden, ja, beinahe zu erfinden. Die glitzernde formale Schönheit der Musik ist eine höchst grausame Schönheit, weil sie von ungeschützten und hilflosen Menschen erzählt. Aber genau in diesem Spannungsfeld zwischen der schönen Form und dem erbarmungslosen Inhalt liegt für mich paradoxerweise der Sprengstoff für die große Erzählung auf der Bühne.

Thomas Böckstiegel: Eine Auseinandersetzung mit Barockoper bedeutet immer auch eine Frage nach einer Spielfassung. Was macht die »Schwetzinger Fassung« aus?

Yona Kim: Wir haben vieles in der vorhandenen Partitur gestrafft und gebündelt, indem wir Rezitative gekürzt und Dacapo-Teile von Arien gestrichen haben, um die Figurendramaturgie und ihre theatralische Situation zu verdeutlichen und zuzuspitzen. … Sogar der streng formale Aufbau der barocken Oper mit dem steten Wechsel von Rezitativ und Arie und dem schematischen Bau der Dacapo-Arie wurde kritisch unter die Lupe genommen und editiert. Die endgültige »Schwetzinger Fassung« entstand erst drei Wochen vor der Premiere, während der Probenarbeit. Ein hochspannender und lebendiger Prozess, wie er übrigens auch im barocken Zeitalter die gängige Praxis war.

Das vollständige Interview können Sie im Programmheft zu »La verità in cimento« lesen.

Karten für die nächsten Vorstellungen sowie die Konzerte im Rahmen des Winters in Schwetzingen an der Theaterkasse, Theaterstraße 10, unter 06221 58 20 000, tickets@theater.heidelberg.de oder online im Webshop.

La verità in cimento

Trailer von Thiemo Hehl

La verità in cimento

Dramma per musica in drei Akten von Antonio Vivaldi

Fr 30.11.2018, 19.30 Uhr
Rokokotheater Schwetzingen